Über den URANUS und das Hohe Selbst, bzw. den Genius

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Liebe Leserinnen und Leser,

diesmal geht es um den Uranus. In meinem letzten Text habe ich ausgeführt, in welchem Verhältnis der Saturn zu Neptun und Uranus steht. Dabei habe ich betont, dass der Saturn nach meiner Ansicht das kollektive Bewusstsein symbolisiert, das sich in den allgemeinen Werten einer Kultur abbildet und dass wir heute in einer materialistisch ausgerichteten Kultur leben.

Die Astrologie operiert mit 12 Grundprinzipien, die sich auf verschiedenen Ebenen in verschiedenen, dabei aber inhaltlich ähnlichen oder „analogen“ Erscheinungen zeigen.

Als Bewusstseinsebenen entsprechen dem Saturn der Wachzustand und das kollektive Bewusstsein. Wir erleben im Wachzustand einen Daseinsbereich, den wir bekanntlich mit mehr als 7 Milliarden anderen Menschen teilen. Und auf dieser Ebene existieren allgemein gültige Maßstäbe und Gesetze, z. B. Naturgesetze wie die Gravitation, oder dass wir als physische Wesen sterblich sind, die man nicht ohne Weiteres aufheben oder aushebeln kann.  

Aber im Traum sind wir in einer von uns selbst geschaffenen Welt. Wir erschaffen den gesamten Traum – also das Traumgeschehen, unsere eigene Rolle im Traum und alle anderen Wesen, die sonst im Traum erscheinen alle selbst und ganz spontan. Dort sind Dinge möglich, die im Wachzustand nicht möglich sind, wie z. B. ohne Hilfsmittel zu fliegen. Übrigens gibt  es Bereiche des Traumlebens, wo es nicht um die seelische Verarbeitung von Tagesresten oder um subjektive Wunsch- und Angstträume geht. Es gibt prophetische und inspirierende Träume und solche, in denen man anscheinend ganz reale Begegnungen mit anderen Wesen haben kann, oder wichtige Informationen aus höheren Ebenen des Bewusstseins bekommt. Dem Traumzustand entspricht der Uranus, dem übrigens auch in der realen Welt das Fliegen zugeordnet wird.   

Und dem Neptun entspricht das universelle Bewusstsein, das wir in der Meditation oder unbewusst im Tiefschlaf erfahren, wo sich die Grenzen zwischen Innen und Außen völlig auflösen und die Erfahrung der linearen Zeit völlig in den Hintergrund tritt. Soweit noch einmal kurz zu den Bewusstseinsebenen, die Saturn, Uranus und Neptun entsprechen.

Was nun die psychologische Ebene entspricht, so entspricht der Saturn nach meiner Ansicht u. a. dem „Überich“. Der Begriff wurde von Sigmund Freud entwickelt und meint all die Werte, die man bezüglich „gut“ und „böse“ usw. durch die Erziehung in einer bestimmten Kultur erlernt und verinnerlicht. Das Überich ist also der Aspekt des gesamten Wesens eines Menschen, der durch kollektive Wertvorstellungen geprägt wurde. Dieser Aspekt unseres Wesens kann im Umgang mit der Gesellschaft eine hilfreiche Orientierung sein. Aber der Prozess seiner Entwicklung ist meistens durch Angst geprägt. Angst vor Strafe, Isolierung, Verfolgung und auch von der Angst vor dem Tod. Denn bei menschlichen Wesen hängt das Überleben viel stärker von der Unterstützung anderer Wesen der eigenen biologischen Art ab, als bei allen anderen Lebewesen. Nicht den kollektiven Werten zu entsprechen und nicht dem Überich zu gehorchen, kann enorme Ängste erzeugen.

Das Hohe Selbst, das dem Uranus entspricht, ist etwas völlig Anderes. Es ist ein Anteil des eigenen Wesens, der völlig unabhängig von den kollektiven Wertvorstellungen existiert. Der  Alchemist, Magier, Gelehrte und Astrologe Agrippa von Nettesheim nannte das Hohe Selbst „Genius“ und hat um das Jahr 1500 versucht, den Genius, also das Hohe Selbst, astrologisch zu definieren. Er vermutete zu Recht, dass das Hohe Selbst etwas mit dem 11. Haus zu tun hat und Agrippa war ein genialer und außerordentlich gebildeter Mensch. Aber damals war der Planet Uranus, der nach meiner Ansicht dem Hohen Selbst entspricht, eben noch gar nicht entdeckt. So gab Agrippa den Versuch, das Hohe Selbst astrologisch zu zuordnen irgendwann auf und schrieb dann in seinem Buch „Die magischen Werke“:

„Da jedoch eine derartige (astrologische) Erforschung mühsam und höchst dunkel ist, so werden wir weit leichter aus uns selbst die Natur unseres Genius entziffern, wenn wir genau auf das Acht geben, was im ersten noch unbefleckten Jugendalter, oder wenn wir frei von eitlen Sorgen und Leidenschaften sind, die Seele uns eingibt, der Instinkt der Natur diktiert, und wozu der Himmel uns geneigt macht. Dies sind dann ohne Zweifel die Ratschläge des Genius, der einem jedem von seiner Geburt an gegeben ist, und der uns dahin leitet und dazu aufmuntert, wozu sein Gestirn uns Neigung verleiht.“

Der Uranus, das Hohe Selbst oder der Genius verbindet uns seelisch, geistig und spirituell mit dem universellen Bewusstsein, das astrologisch durch den Neptun symbolisiert wird. Und das ist tatsächlich etwas vollkommen Anderes, als das Überich, das dem Saturn entspricht. Noch mal Agrippa von Nettesheim: „… (was) die Seele uns eingibt, der Instinkt der Natur diktiert, und wozu der Himmel uns geneigt macht. Dies sind dann ohne Zweifel die Ratschläge des Genius, der einem jedem von seiner Geburt an gegeben ist,…“.

Was für eine emanzipatorische, radikal freie, weise und liebevoll dem einzelnen Individuum zugewandte Haltung Agrippa von Nettesheim hier einnimmt! Vor mehr als 500 Jahren, also lange vor Freud, Adler, Reich, Jung und Fromm.

Wenn das Kollektiv in eine Krise und in eine neurotische, psychotische oder traumatische Verfassung gerät, reicht das Überich als Verhaltenskompass vielleicht nicht mehr aus. Wenn jemand sagt, dass er nicht mehr weiß, „was er tun soll“, kann das ein Hinweis darauf sein, dass das Überich überfordert ist und in der aktuellen Situation keine zureichende Orientierung mehr zu bieten hat. Denn das Überich und andere Erscheinungsformen des Saturns verwenden oft Worte wie: „dürfen, sollen, müssen“, die meistens auf Herrschaftsverhältnisse und kollektive Wertvorstellungen hindeuten.

Wenn man nicht mehr weiß, was man tun „soll“, kann man sich die Frage stellen, was man eigentlich wirklich will! Und sich an dem orientieren, „… (was) die Seele uns eingibt, der Instinkt der Natur diktiert, und wozu der Himmel uns geneigt macht. Dies sind dann ohne Zweifel die Ratschläge des Genius, der einem jedem von seiner Geburt an gegeben ist,…“.

In diesem Sinne – mögen die Genien mit uns sein!

Meinen Dank an Agrippa von Nettesheim,

und ganz herzliche Grüße an Alle

Vincento

PS: Übrigens gibt es ein Verfahren, um sich bewusst mit seinem Hohen Selbst zu verbinden:

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