Die Magie des grenzenlosen Mitgefühls

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Es gibt viele Begabungen, die uns helfen die Grenzen unseres Egos zu überschreiten und uns seelisch mit anderen Wesen zu verbinden: Empathie, Mitgefühl, Medialität, Sensibilität usw. Die Grenzen zwischen diesen Begabungen sind fließend und da wir uns durch diese Begabungen potentiell ALLES erschließen können, wird mein Text nur eine Skizze liefern.

„Dies ist die Magie des grenzenlosen Mitgefühls und solange die Welt existiert, wird dessen charismatische Aktivität niemals enden. Und so kommen aus dieser Dimension die verschiedensten Verkörperungen und Träger von Bedeutung und erscheinen auch in der Form von Gemälden, Reliefs, Naturmonumenten, Schriften, Orten der Anbetung, Lotosblumen, Fruchtbäumen, Parks, eleganten Häusern, Vergnügungshainen, Karawansereien, Schiffen, Brücken, Lampen, Juwelen, Nahrungs- und Transportmitteln, Kleidern usw. In all diesen materiellen Formen, die uns auf verschiedenste Weise helfen, ist der Lehrer anwesend.“

So schrieb der tibetische Mystiker Longchenpa, dessen Name „grenzenlose Weite“ bedeutet. Er wurde am 1.3.1308 geboren und hatte Sonne, Venus, Mond, Merkur und Pluto im Zeichen der Fische. Die Fische gelten in der Astrologie als Zeichen des Mitgefühls, des Ozeanischen und des Weltraums. Was mich an den Zen-Meister Richard Baker Roshi erinnert, der uns einmal sagte: „Raum verbindet!“ Er empfahl uns, die konventionelle Vorstellung, dass der Raum trennt, aufzugeben und stattdessen anzunehmen, dass der Raum verbindet.

Im hawaiianischen Huna wird angenommen, dass man sich über jede räumliche Distanz mit allem verbinden kann. Es gibt eine Übung, mit der man seine empathischen Fähigkeiten präzisieren kann. Man atmet sanft in den Bauch und stellt sich vor, dass von dort Fasern aus subtiler, wahrnehmungsfähiger Energie ausgesendet werden können. Man visualisiert eine solche Faser und verbindet sie mit einem anderen Wesen. Das geht mit Pflanzen, Tieren Menschen und auch mit Gegenständen. Sobald die Faser „angedockt“ hat, „schaltet man auf Empfang“, d. h. man achtet darauf, welche Wahrnehmungen im Bauch auftauchen und „dekodiert“ sie, indem man erlaubt, dass sich diese Wahrnehmungen in Gedanken umformen. Am Ende der Übung zieht man die Faser aus subtiler Energie wieder zurück, sonst nimmt man weiter alle möglichen Informationen auf.

Eines Abends traf ich im Supermarkt einen Mann, der keinen Einkaufswagen hatte. Groß, mit Brille und scheuem Lächeln hatte er schon beide Arme voller Lebensmittel und dabei war er mit seinem Einkauf noch gar nicht fertig. Ich kramte in meiner Hosentasche nach einem Euro, fand aber keinen. „Haben Sie vielleicht einen Euro?“ fragte ich und nahm ihm einige seiner Einkäufe ab, damit er nachschauen konnte. Er fand eine Euro Münze und ich gab ihm dafür einen Euro in Cent Münzen zurück – habe ich erwähnt, dass ich manchmal etwas zerstreut bin? – und holte ihm einen Einkaufswagen. Als ich an die Kasse kam lag da eine Schachtel Pralinen, die er für mich gekauft hatte, deren Markenname auf Deutsch „Danke“ bedeutet.

Vielleicht glauben wir, dass wir uns um Mitgefühl bemühen sollten. Aus astrologischer Sicht geht es aber eher um einen Prozess der Entdeckung. Das Zeichen der Fische, das mit Mitgefühl assoziiert wird, symbolisiert auch den Urzustand vor jeder Schöpfung. Seine Qualitäten werden durch den Planeten Neptun zum Ausdruck gebracht. Übrigens haben wir alle irgendwo die Fische und den Neptun in unserem Horoskop!

Neptun wurde zum ersten Mal von Galileo Galilei am 28.12.1612 um 01:57:07 GMT in Florenz gesichtet. Nach dem Horoskop auf diesen Moment symbolisiert der Neptun einen grenzenlosen, alles umfassenden Behälter ohne Substanz. Es liegt nahe, dabei an den Weltraum zu denken. Und da der Weltraum die Existenz des ganzen Universums ermöglicht und jedes Dasein garantiert, ohne sich je einzumischen – egal was auch geschieht – können wir ihn als bedingungslose Liebe und spontanes Mitgefühl verstehen. Natürlich ist das ein etwas ungewöhnlicher Gedanke. Aber sonst bräuchte ich ihn ja erst gar nicht zu formulieren, nicht wahr? Jedenfalls können wir, wenn wir unsere Bewusstheit betrachten feststellen, dass auch unsere Bewusstheit raumartig ist. So unendlich geräumig, dass dort alle inneren und äußeren Wahrnehmungen auftauchen können, auch die B U C H S T A B E N, die hier zu lesen sind. Und diese offene Dimension unserer Bewusstheit ist bedingungslose Liebe und spontanes Mitgefühl, erlaubt sie doch Allem, was wir erleben in unserer Bewusstheit zu sein.

Als meine Mutter starb fiel ich in eine tiefe Trauer, die länger als ein Jahr andauerte. Dann stand ich an einem dunklen Dezemberabend im Supermarkt an der Kasse – alle waren im Weihnachtsstress – und die Kassiererin sagte: „Na, dann wollen wir dem jungen Mann mal helfen, seine Sachen einzupacken.“ und tütete meine Einkäufe ein. Diese empathische Geste erzeugte in meinem Herz eine Art Blitz aus goldenem Licht und von da an ging es langsam wieder bergauf mit mir. Ich wollte mich bedanken, aber nicht vor anderen Leuten mit der Kassiererin über dieses Thema sprechen. Sieben Jahre später bot sich die Gelegenheit, ihr allein zu begegnen. Ich bedankte mich bei ihr für ihre empathische Geste und sie brach sofort in Tränen aus. „Wirklich?“ fragte sie. „Die Trauer geht wieder vorüber? Danke! Wissen Sie, vor drei Wochen ist meine Mutter gestorben.“

Eine astrologische Konstellation für Empathie will ich genauer beschreiben – Mond/Saturn – weil sie oft missverstanden wird. Voraussetzung für Mond/Saturn ist nach W. Döbereiner, dass es der Mutter in der Schwangerschaft schlecht geht. Da der Embryo durch das Blut der Mutter ernährt wird, erfährt er dieselbe Mischung von Stresshormonen, die ihren Zustand ausmachen. Vielleicht spürt er, dass auch sein Leben gefährdet ist, wenn es der Mutter noch schlechter geht. Jedenfalls kann Mond/Saturn nur schwer nicht helfen und ist einfühlsam und grenzenlos verständnisvoll „das Öl auf den Wogen“ des Alltags und häufig in helfenden Berufen tätig. Es gibt eine große Sehnsucht nach Harmonie und die Wahrnehmung ist weit über die Grenzen des Egos hinaus erweitert. So liefert Mond/Saturn still, freundlich und sanft einen „atmosphärischen Entstörungsdienst“, an den sich jede Umgebung rasch gewöhnt. Aber die eigenen seelischen Empfindungen bleiben oft unzugänglich. Spätestens wenn es z. B. im Alleinsein zur Krise kommt sollte gelernt werden, auch sich selbst mit Empathie zu begegnen – besser schon vorher! Der Rat „sich besser abzugrenzen“ hilft nicht, solange keine seelische Selbstwahrnehmung besteht. Auch konventionelle Ideen über Egoismus und Altruismus helfen nicht weiter. In einer Welt, in der wir uns Alle gegenseitig immer intensiver beeinflussen, kann auch der hartherzigste Egoist eigentlich nur wünschen, dass es Allen gut geht und selbst der engelhafteste Altruist sollte sich wirklich gut um sich selbst kümmern.

In diesem Sinne uns Allen Alles Gute
Vincento

 

PS: Dieser Text wurde auch in der Printversion der Novemberausgabe der Osho-Times publiziert http://www.oshotimes.de/  

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