Ein Portrait des Merkurs

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Ein Portrait des Merkurs

Vorbemerkung: Dieser Text entstand auch angeregt durch die Begegnung mit einem Alchemisten. Der Begriff „Rubedo“ kennzeichnet das Ziel alchemistischer Transformationsvorgänge. Der Begriff „metaastrologisch“ bezieht sich auf eine astrologische Entdeckung, die mir 1995 gelang, mehr dazu finden Sie unter „Die Entdeckung der Metaastrologie“.

Merkur aus mythologischer Sicht

Im olympischen Kult wurde dem Planeten Merkur der Gott Hermes zugeordnet. Er gilt als der „Götterbote“ und als das erste Kind des Zeus, was insofern Sinn macht, als sich im Charakter des Hermes die Vielseitigkeit und Dynamik seines Vaters Zeus, wenn auch in anderer Form, in großer Deutlichkeit wieder finden.

Die Mutter des Hermes ist Maia, eine Tochter des Atlas. Der Titan Atlas, geographisch das Atlasgebirge, ist im Mythos der Träger des Himmelsgewölbes. Seine Tochter Maia ist die Erdgöttin als alte Frau. Die Erdgöttin Maia entspricht wohl der indischen „Maya“. Diese gilt in Indien als „Weltenmutter“, als Mutter der Erscheinungswelt, als der trügerische Aspekt der Erscheinung und zugleich auch als der Aspekt des menschlichen Geistes, durch dessen Aktivität die „reale“ Erscheinungswelt erst im Bewusstsein entsteht.

Zeus analog Jupiter entspricht in der Astrologie auch der Erkenntnis. Die Erdgöttin Maia entspricht der irdischen Erscheinungswelt. Erkenntnis (Zeus) bezogen auf die irdische Erscheinungswelt (Maia) ergibt Hermes, den Intellekt.

In der Antike wurde Hermes astrologisch die „Weisheit“ zu geordnet. Also stellt sich die Frage: „Was ist Weisheit?“. Weisheit hatte damals eine andere Bedeutung als heute. Damals verstand man unter Weisheit Erfindungsgeist, theoretische und praktische Fähigkeiten sowie sprachliche Begabungen, was an den Attributen und Eigenschaften des Hermes und der „Göttin der Weisheit“, Pallas Athene, klar zu erkennen ist. Athene und Hermes werden viele technische Erfindungen und die Entwicklung erster Grundlagen für wissenschaftliches Arbeiten zu geschrieben.

Das Wort sofia für „Weisheit“ bedeutet im Altgriechischen „vernünftig, lebensklug, erfahren, jemanden, der in seiner Arbeit ein Experte ist, jemanden, der die körperlichen Fähigkeiten für jede nur denkbare Aktivität hat, einen guten Rhetoriker etc.“ Dem entsprechen heute im Deutschen eher Intellekt, Vernunft und Klugheit, weniger die Weisheit im inspirierten oder intuitiven Sinne.

Als der Mensch in der Antike vor 3.600 Jahren damit begann, die äußere Wirklichkeit zu erforschen, müssen solche geistige Fähigkeiten aber natürlich von größter Bedeutung gewesen sein. Menschen mit solchen Fähigkeiten gehörten damals wahrscheinlich zur Avantgarde der kulturellen Entwicklung. Heute, wo die wissenschaftlich technische Zivilisation, die damals ihren Anfang nahm, in Krisen von bisher unbekannten Ausmaßen mündet, sehen wir das natürlich anders. Heute halten wir einen Menschen nicht mehr automatisch für „weise“, nur weil er rhetorisch begabt und in einem wissenschaftlichen oder technischen Bereich besonders fähig ist. Aber damals war, was heute aus dem Gleichgewicht geraten ist, erst im Anfang.

Wenn Sie Gelegenheit haben, auf die Insel Delos zu fahren, dann schauen Sie sich dort die Skulpturen an, die den Hermes darstellen. Da ich den Merkur (Hermes) astrologisch als Prinzip des Intellekts verstand, hatte ich erwartet, in diesen Skulpturen vielleicht die Züge von modernen Wissenschaftlern wieder zu erkennen. Weil es ja durchaus antike Skulpturen gibt, die modernen westlichen Menschen ähneln. Aber die Hermesköpfe zeigen nicht die Spannung, Unruhe und Zerrissenheit, die fast alle modernen westlichen Gesichter kennzeichnet. Die Hermesköpfe von Delos sind zwar ganz der Welt zugewandt und insofern „westlich“. Zugleich erscheinen sie aber geistig ganz in sich gesammelt, was „östlich“ wirkt. Vielleicht ist es das, was in der Antike als „Weisheit“ galt. Jedenfalls ist klar geworden, dass der Hermes nicht etwas Statisches, sondern eine geistige Bewegung symbolisiert, etwas, das sich über die Jahrtausende hinweg auch gewandelt hat. Im Mythos gilt er ja auch als Gott der Reisenden.

Hermes, gesprochen „Ermis“ mit Betonung der zweiten Silbe, ist der Bote der Götter und hat viele weitere Funktionen und dementsprechend viele Namen:

1. Als Götterbote wird er thiactor genannt, was „Führer, im Sinne von Lenker, und zugleich der Verbinder, die Verbindung“ bedeutet.

2. Als Glücksbringer nennt man ihn eriunios akakita. Eriunios bedeutet „Helfer, Glücksbringer, der vielfältigen Nutzen Bringende“. „Glück“ bedeutete im Altgriechischen „Glück haben“ und auch „glücklich sein“. Akakita bedeutet „der Retter, der Fähige, der Listige, der Geschickte, der Gutherzige“.

3. Als tholios ist er der Gott der List, tholios bedeutet „List“.
4. Als Begleiter der Seelen, der die Sterbenden in das Totenreich begleitet, wird Hermes psychopombos genannt. Psycho bedeutet „Seele“, pombos bedeutet „Verbindung, Weg, Bewegung zwischen zwei Orten“.

Hermes gilt als Schützer der Reisenden, der Händler, der Herolde, der Wege und Strassen, aber auch als Schützer der Künste und Wissenschaften. Er ist der Gott der Diebe, der Lügner sowie der Erfinder der ersten Musikinstrumente Leier und Flöte. Er wacht über Verträge, fördert den Handel und sichert das Recht zu Reisen. Hermes lehrte die Kunst, Feuer zu machen, half bei der Entwicklung des Alphabetes, begründete die Astronomie, erfand Maße, Gewichte, die Tonleiter und das Würfelspiel, das auch als Orakel verwendet wurde. Hermes ist also sehr vielseitig und gilt mit seinen geflügelten Füßen „als schnell wie der Wind“.

Er wurde von seiner Mutter Maia auf dem Berg Kyllene geboren und von einer Nymphe gleichen Namens in einer Höhle dieses Berges großgezogen. Eines Tages, als weder Mama Maia noch die Nymphe Kyllene auf ihn achten, macht sich der kleine Gott auf den Weg, findet die Rinder seines Bruders Apollo und beschließt, diese zu stehlen. Diese frühe Bereitschaft zur Bewegung kann als typisch für den Hermes wie den Merkur gelten. Und natürlich auch der „Zwang zum Greifen“. Hermes gilt als Gott der Diebe. Dem Merkur werden auch die Hände zugeordnet. Aus Sicht der Psychologie entwickelt sich der Intellekt auch aus der Entwicklung der Handbewegungen, also aus dem „Begreifen“.

Nach einer Version des Mythos umwickelt Hermes die Hufe der gestohlenen Rinder mit Eichenrinde und Gras, so dass Apollo zwar den Diebstahl feststellt, aber keine Spuren findet. Nach einer anderen Version treibt er das Hornvieh sogar, man höre und staune, rückwärts (!) den Strand entlang und in eine Höhle, so dass die Spuren, denen Apollo folgt, ihn immer weiter weg von seiner Herde führen. Klever der Kleine! Aber letztlich findet Apollo den Dieb dennoch, weil Hermes aus einem Schildkrötenpanzer und den getrockneten Därmen der Rinder das erste Musikinstrument, nämlich die Leier baut und ihr bisher vollkommen unbekannte Klänge entlockt.

Diese ganz neuartigen Klänge erregen Aufmerksamkeit. Sie führen schließlich auch Apollo zur Höhle auf dem Berg Kyllene und er nimmt seinen Bruder Hermes, der sich zunächst schlafend stellt, trotz der Proteste von Mutter Maia mit, schleppt den Kleinen trotz dessen empörten Wutgeheuls vor den Richterstuhl von Vater Zeus und klagt ihn dort des Diebstahls an.

Klein Hermes pinkelt demonstrativ in seine Windeln und sagt: „Ja aber woher soll denn ich, ich ein armes, schwaches, unfähiges Kleinkind, das, wie ihr seht, ja noch in die Windeln macht, denn genügend Intelligenz, Geschick und Erfahrung haben, um eine ganze Rinderherde zu stehlen und dann auch noch die Spuren des Diebstahls so geschickt zu vertuschen, dass selbst mein weiser Bruder Apollo seine Rinder wochenlang nicht wieder finden kann?!“

Vater Zeus war sofort klar, dass hier etwas nicht ganz stimmig war.  Man kann eben auch zu klever sein. Einerseits stolz auf seinen smarten Sohn, andererseits beunruhigt über dessen windige ethische Haltung, beschließt Zeus, dem Hermes eine klare, konstruktives Orientierung zu geben, um dessen Fähigkeiten in eine sinnvolle Richtung zu lenken und ihn in das Team der olympischen Götter zu integrieren.

Zeus befiehlt dem Hermes, von nun an nicht mehr zu lügen und zu stehlen und macht ihn, um seinem Potential eine Entwicklungschance zu geben, zum Götterboten. Der smarte Hermes nimmt die neue Aufgabe dankend an, und beeilt sich bei der Gelegenheit sofort auch das Zugeständnis zu erwirken, dass es „schon irgendwie auch okay“ ist, wenn er als Götterbote „nicht immer gleich die ganze Wahrheit sagt“, und Vater Zeus stimmt dem zu.

Dieser Mythos scheint eine grundsätzliche Problematik an zu sprechen. Hermes stiehlt die Rinder des Apollo könnte bedeuten: Der Intellekt beraubt uns des Reichtums des Herzens und seiner Erfahrungswege. Der Hermes symbolisiert ja den Intellekt und der Apollo die Analogiereihe Licht = Sonne = Herz. Zumindest in seinen unreifen Stufen ist der Intellekt in seiner räuberischen Anmaßung ein Problem. Er gaukelt uns im Sinne seiner Mama Maya dualistische Trugbilder vor und trennt uns von der Weisheit und dem Erkenntnislicht des Herzens, die wesentlich besser in der Lage sind, das Wirkliche zu erfassen. Aber in seinen höheren Entwicklungsstufen kann sich der Intellekt mit der Weisheit des Herzens neu verbinden. Dies setzt voraus, dass der Intellekt seine arrogante, anmaßende Position aufgibt. Im Mythos kommt es zu einer echten Versöhnung zwischen Intellekt und Herz, zwischen Hermes und Apollo.

Hermes hatte ja nach seinem Diebstahl aus einem Kuhdarm und einem Schildkrötenpanzer das erste Musikinstrument hergestellt und bekommt im Tausch von Apollo dafür die ganze Rinderherde angeboten, die er erst mal gestohlen hatte. Gleich danach baut der findige Hermes aus einem Schilfrohr die erste Flöte und Apollo, unter anderem auch der Gott der Musik, begeistert sich auch dafür. So beginnt im Mythos ein Austausch zwischen den beiden Brüdern. Hermes der Intellekt, stellt Apollo dem Herzen, Musikinstrumente, sprich die Ausdrucksmittel zur Verfügung. Der Intellekt dient dem Herzen. Im Gegenzug hilft Apollo dem Hermes, die Kunst des Orakelns zu erlernen, das heißt das Herz bringt im Gegenzug den Intellekt der Wahrheit ein ganzes Stück näher.

Der Planet Merkur herrscht im Tierkreis über zwei Zeichen, die Zwillinge und die Jungfrau. Während der Zwilling analog dem Gott der Reisenden die Welt erkundet und Verbindungen schafft, steht die Jungfrau analog Pallas Athene für die kluge Nutzung der jeweiligen Gegebenheiten.

Pallas Athene, gesprochen „Pallas Athini“ mit Akzent auf der zweiten und der vierten Silbe, gilt als Schutzgöttin der Stadt Athen, als Kriegsgöttin und Göttin der Weisheit. Pallas bedeutet auf Waffen bezogen „werfen, schleudern“, und daneben auch „mit großer Kraft auf- oder hervorspringen“. Pallas bezieht sich damit sowohl auf die Kriegsgöttin Pallas Athene als Trägerin eines Speers als auch auf den mythologischen Hintergrund, nachdem sie mit einem Schrei und in voller Rüstung dem Kopf des Zeus entsprang.

Als Schutzgöttin von Athen und vielen anderen Städten, ist sie eine Gottheit der Zivilisation. „Civitas“ bedeutet „Bürgerschaft, Stadt“. Im Gegensatz zum Zwillingsmerkur Hermes, der ständig unterwegs ist, lebt Athene, der Jungfraumerkur, als Göttin mehrerer Städte jeweils ganz spezifisch bezogen auf menschlich geordnete Umgebungen.

Sie entsteht aus einer Vereinigung von Zeus und der Titanin Metis. Dabei handelt es sich anscheinend um eben jene Metis, die dem Zeus als Knaben den entscheidenden Ratschlag gab, wie Kronos zu entmachten wäre, – siehe unter „Der Jupiter aus mythologischer Sicht“. Metis wurde dem Mittwoch, dem vierten Wochentag zugeordnet, der dem Merkur gewidmet war, was in dem französischen mercredi noch nachklingt.

Ein Orakel prophezeit, das Kind von Metis und Zeus würde ein Mädchen sein und falls diesem Mädchen noch ein Bruder geboren würde, dann würde dieser den Zeus vom Thron stoßen, so wie Kronos von Zeus entmachtet wurde. Da verschlingt Zeus die Metis. Anscheinend hat er sich damit aber doch ziemlich übernommen. Eines Tages bekommt Zeus furchtbare Kopfschmerzen, bis er schließlich vor Schmerz derartig brüllt, dass der Himmel erzittert, – merke: Friss niemals deine eigene Lebensberaterin! Hermes erfasst die Situation und bittet Prometheus, den Schädel des Zeus zu öffnen und daraus entspringt mit einem Schrei Athene in voller Rüstung.

Pallas Athene gilt als Kriegsgöttin, die den Krieg aber nicht liebt, sondern immer versucht, Konflikte zu schlichten, und sie ist durch ihre Klugheit, symbolisiert durch die Eule, dem Kriegsgott Ares weit überlegen. Sie verhält sich immer besonnen, gibt klugen Rat, gilt als Erfinderin von Schiff und Wagen und einer ganzen Reihe von Künsten wie Weberei, Töpferei, Metallurgie, Navigation, Medizin, Mathematik usw.

Dem Merkur entsprechen im Tierkreis zwei Zeichen, Zwilling und Jungfrau, und diesen entsprechen Hermes und Pallas Athene. So erscheint der Merkur sowohl in männlicher als auch in weiblicher Form. Diese Symbolik des „sowohl als auch“ setzt sich in den Details der Symbolik der beiden olympischen Gottheiten fort. So trägt Hermes einen Stab, um den sich, ähnlich zwei einander überschneidenden Sinuskurven, zwei Schlangen winden. Der Stab gilt manchen als Bild für den „Zentralkanal“ im feinstofflichen Energiekörper des Menschen um den sich, wie die zwei Schlangen, die feinstofflichen Kanäle der männlichen und weiblichen Energien herum winden. Und Athene hat als jungfräuliche Göttin des Krieges und als Schutzgöttin von Athen auch sehr harte, rationale Züge. Schauen Sie sich, wenn Sie Gelegenheit dazu haben, einmal die Akropolis von Athen unter diesem Gesichtspunkt an. Die Akropolis strahlt auch eine enorme Macht und Härte aus und wirkt in vielen ihrer Dekorationen wie eine eiskalt kalkulierte Zurschaustellung kriegerischer Kraft.

Die dem Merkur zugeordneten astrologischen Zeichen Zwilling und Jungfrau werden durch menschliche Gestalten dargestellt. Diese Zeichen stellen danach spezifisch menschliche Qualitäten dar, nämlich den Intellekt und die Vernunft. Es gibt im Mythos zwei weitere Gottheiten, die eng mit dem Menschen, dem Planeten Merkur und Athene zusammenhängen. Die besondere Bedeutung der Vernunft für den Menschen und dessen besondere Stellung gegenüber der Natur, wird im Mythos von Epimetheus und Prometheus dargestellt:

Die Brüder Epimetheus und Prometheus erhalten von Zeus den Auftrag, die Lebewesen mit den für das Leben notwendigen Eigenschaften zu versorgen. Epimetheus (Nachdenken) sagt zu Prometheus (Vorausdenken): „Lass mal Bruder, ruh dich aus, das schaffe ich schon allein.“ Als Prometheus später einmal nachsieht, wie sein Bruder vorankommt, ist die Situation katastrophal: Alle überlebensnotwendigen Eigenschaften, wie präzise Instinkte und Sinneswahrnehmungen, Stacheln, Schuppen, dicke Häute, Borsten, Felle und Pelze, Waffen wie Giftzähne, Giftstachel und Giftdrüsen, Hörner, Klauen, Reißzähne, Hufe, die Fähigkeit zu fliegen, sich zu tarnen, schnell zu schwimmen und zu laufen, hatte Epimetheus an die Tiere vergeben. Der Mensch aber war nackt, hatte jämmerliche Zähne, Finger- und Zehennägel, im Vergleich zu vielen Tieren war er fast blind und taub, im Anfang seines Lebens vollkommen unselbständig, in seinen Bewegungen langsam und am schlimmsten war: der Mensch litt unter einem fast totalen Instinktverlust. Um diese lebensgefährlichen Nachteile auszugleichen, stiehlt Prometheus von Pallas Athene die Klugheit und vom Schmied der Götter Hephaistos das Feuer und gibt es den Menschen. So schafft Prometheus die Voraussetzungen des menschlichen Überlebens durch Klugheit und den Gebrauch des Feuers. Aber Zeus wird zornig, weil das Feuer eigentlich nur den Göttern gehören sollte, und schmiedet den Prometheus an einen Felsen im Kaukasus, wo jeden Tag ein Adler die Leber des Prometheus frisst, die nachts aber wieder nachwächst. Prometheus, der geistige Vertreter der Menschheit, ist an den Felsen, und damit an die härteste Erscheinungsform irdischer Realität geschmiedet. Der Mensch, geprägt durch die traumatische Erfahrung der Gewalten der Natur, bleibt durch dieses Trauma in seinem Bewusstsein an die Bedingungen der konkreten Realität gefesselt. Sein Geist bleibt an die Materie gebunden.

Die Entwicklung der technischen Zivilisation erschuf dem Menschen inzwischen zwar viele existentielle Vorteile, aber sein Bewusstsein scheint nach wie vor an die Materie und an die Ebene der Dualität gebunden. Wissenschaft, Technik, Verkehr, Handel, Massenmedien, Kommunikationsmittel und damit letztlich fast alle Aspekte der Zivilisation unterstehen astrologisch gesehen dem Planeten Merkur. Spätestens seit der prometheische Geist des Menschen in den Besitz des atomaren Feuers gelangte, ist aber der Mensch selbst die größte Gefahr für seine Existenz und die irdische Welt und müsste sein Urtrauma überwinden. Der Mensch sollte heute den Hermes oder Merkur, seinen Intellekt und seine Vernunft, wohl am Besten dazu verwenden, sich aus der Dualität zu lösen und andere Aspekte der Wirklichkeit, wie die Gleichheit und Verbundenheit alles Lebendigen zu erforschen.

Der Merkur aus astrologischer Sicht

Aus der Perspektive der metaastrologischen Planetenbilder gilt für den Merkur vor allem folgender Punkt als wesentlich:

Der Merkur ist eine geistige Kraft in Bewegung.

Sie brauchen nur für einige Momente darauf zu achten, was an Gedanken in Ihrem Bewusstsein auftaucht. Sie werden feststellen, dass in sehr kurzer Zeit sehr viele Gedanken auftauchen und rasch von anderen Gedanken abgelöst werden. Diese geistige Bewegung, genau das ist der Merkur! Wenn diese Bewegung zur Ruhe kommt, ist da kein Merkur, zumindest kein gewöhnlicher. Im Weiteren kann für den Merkur als wesentlich gelten:

Der Merkur ist astrologisch gesehen eine Entwicklung und anfangs eine sehr bewegliche, geistige Kraft, die sich dem Leben in einer impulsiven, offenen, chaotischen und intuitiven (!) Weise zuwendet. Daraus ergeben sich erst im Weiteren Formen und Muster, Systeme und Modelle im konkreten und geistigen Verhalten. Der Merkur erschafft sich im Erleben ein Modell des Lebens und ein sich ständig wandelndes Weltbild. Merkur formt aus Erlebnisse und Intuitionen geistige Strukturen. Dies erinnert an die Ergebnisse der Hirnforschung, wonach unser Geist anfangs offen und chaotisch ist und erst im Laufe der Entwicklung durch Versuch und Irrtum, Erfahrungen und Gewohnheiten, feste Denk- und Verhaltensmuster erworben werden.

Der Merkur ist entwicklungsfähig. Er steht für die Lernfähigkeit des Menschen. So wie sich Hermes vom Rinderdieb zum Götterboten entwickelt, entwickelt sich Merkur, astrologisch gesehen, idealerweise von einer trennenden zu einer verbindenden, integrierenden Kraft. Nehmen Sie unsere Zivilisation als Beispiel:

Wie schon erwähnt, Wissenschaft, Technik, Verkehr, Handel, Massenmedien, Kommunikationsmittel und damit letztlich fast alle Aspekte der Zivilisation, unterstehen astrologisch gesehen dem Planeten Merkur. Betrachtet man die Massenmedien und die modernen Kommunikationsmittel, dann sehen wir den Merkur, also Hermes weltweit als Herold in Aktion. Selbst wenn er uns mit seinen modernen Mitteln auch heute noch „nicht immer gleich die ganze Wahrheit sagt“, so vermittelt er doch immerhin. Vielleicht erleben wir dadurch irgendwann auch eine weltweite Integration der geistigen Kulturen auf dem Planeten Erde. Falls es dazu käme, wäre Hermes, also der Merkur tatsächlich im besten Sinne zum Götterboten geworden. Das ist die hoffnungsvolle Seite.

Andererseits zerstört unsere Zivilisation die Grundlagen des Lebens und auch das Leben. Experten schätzten um das Jahr 2000, dass unsere Zivilisation täglich ungefähr 100 biologische Arten vernichtet. Im Vergleich dazu und im Vergleich zu vielen anderen Dingen, die heute global im Sinne des Marktes, also im Sinne des Gottes der Händler und Diebe in Personalunion geschehen, ist der Rinderdiebstahl des Hermes im Mythos eine unschuldige kindliche Handlung, ja schon fast die Tat eines Heiligen.

Auf seinen niederen Entwicklungsstufen tendiert der Merkur zur Entfernung und seelischen Entfremdung vom Leben, dem er eigentlich dienen sollte. Der Intellekt, also der Merkur kann sowohl trennen, als auch verbinden. Natürlich hat die Entwicklung des Intellekts anfangs auch die Funktion, dem Individuum die Unterscheidung und Trennung zwischen Subjekt und Objekt zu ermöglichen, damit es sich verselbständigen und in der Welt zu Recht finden kann.

Aber wenn der Aspekt des Trennenden überbetont wird, entstehen Schmerz, Isolation und Entfremdung, was natürlich auch Angst auslöst. Um all dies zu kompensieren, tendiert der Merkur (Intellekt) dann zu einer neurotischen Überlegenheitshaltung, die aus einer isolierten Position aggressiv in das Gefüge der ihn umgebenden Schöpfung eingreift, – siehe den Diebstahl von Apollon’s Rinderherde im olympischen Mythos, bzw. die Zerstörung der Schöpfung durch die wissenschaftlich technische Zivilisation.

Je mehr Schmerz, Isolation, Entfremdung und Angst entstehen, umso größer wird natürlich das Bedürfnis nach Macht und Kontrolle. Aber in einer Wirklichkeit, in der Alles von Allem beeinflusst wird, kann es keine Kontrolle des Ganzen durch einen einzelnen Menschen oder durch eine einzelne Art, wie die Menschheit geben. Stattdessen werden aus dem Gefüge der Wirklichkeit Rückmeldungen auftauchen, die zeigen, dass aggressive Eingriffe in einer Welt, in der Alles mit Allem verbunden ist, zwangsläufig auch auf deren Urheber zurück wirken müssen.

Mit anderen Worten, „die Welt spricht zu uns“, denn jede Wirklichkeit hat ja ihren eigenen Merkur, ihren Vermittler oder Götterboten, nicht nur der Mensch. Aber solange wir durch den geistigen Lärm zwischen unseren Ohren mit Taubheit geschlagen sind, werden wir die „Sprache der Welt“ nicht hören und schon gar nicht verstehen. Das Problem liegt in der Scheinüberlegenheit des menschlichen Intellekts. Der Jazzmusiker Doug Hammond sagte mir einmal: „Eines Tages beschloss der Mensch, dass er das klügste Tier auf Erden ist. Diese Idee hat ihn schlagartig zum dämlichsten Wesen des Universums gemacht.“

Wenn wir den Intellekt zur Ruhe bringen und uns als Teil des Ganzen erfahren, verbindet sich der Merkur mit dem Herzzentrum. Der Geist kommt im Herzzentrum zur Ruhe und damit kommen wir in die Mitte unserer Erfahrung. Dort zeigt sich, dass wir immer mit allem verbunden und nie von irgendetwas getrennt waren. Von dort aus, uns als lebendige Mitte unserer Erfahrung begreifend, in einer Welt, die aus zahllosen solcher lebendigen Mitten besteht, die Alle miteinander verbunden sind und mit einander kommunizieren, ergeben sich ganz andere Zugänge zur Welt.

Die höhere Entwicklung des Intellekts (Merkur) beginnt dann, wenn die Illusion der Trennung durch die Erfahrung der Verbundenheit überwunden wird. Dem entsprechen im Mythos die Intervention des Zeus, durch die der Hermes vom Dieb zum Götterboten wird und die Versöhnung des Hermes mit Apollo. Der Zugang zu den höheren Entwicklungsstufen des Merkur erfordert also den Zeus, astrologisch den Jupiter und die Versöhnung mit Apollo, astrologisch der Sonne. Der Jupiter steht für die Einsicht als die geistige Kraft, die größere Zusammenhänge und die darin enthaltenen Wirklichkeiten in ihrem jeweils Wesentlichen erfassen kann. Die Sonne bildet das eigentliche Zentrum des Lebendigen. Die Höherentwicklung des Merkurs erfordert also die Einsicht des Intellekts in seine eigene Bedeutung innerhalb des größeren Zusammenhangs, in den er eingebunden ist und die Verbindung mit dem Lebendigen anstatt die anmaßende und arrogante Trennung davon.

Idealerweise begreift sich der Merkur, also der Intellekt, als Teil des Lebendigen und wird eine vermittelnde und verbindende Funktion im System der Schöpfung ausfüllen, die auf einem Verständnis für das gesamte lebendige, schöpferische System beruht, das seine Erfahrungswelt ausmacht. Auf der Ebene der vom Merkur regierten Naturwissenschaften entspricht dem die Ökologie, die nicht nur das einzelne Lebewesen, sondern auch das System berücksichtigt, in dem ein Wesen lebt. Diese höhere Funktion des Merkurs verkörpert sich natürlich auch in anderen systemischen Ansätzen. Astrologisch gesehen besteht die Bedeutung des Merkurs im schöpferischen Austausch zwischen „Innen“ und „Außen“. Merkur vermittelt zwischen Seele und Welt.

Dies setzt voraus, dass der Intellekt sich als Bote des Lebendigen und des Seelischen begreift. Solange der Intellekt in der Illusion lebt, er befände sich in einer Distanz zum Ganzen, die ihm eine „objektive, wertfreie“ Sicht auf das Leben erlaube, agiert er nur das Urtrauma der Trennung, also den negativen Aspekt des Kronos aus, mit verheerenden Folgen. Aber wenn sich der Intellekt als Teil des Lebendigen und des Ganzen begreift und zu dessen Mitte zurückkommt, kann er zum Vermittler des Lebendigen und zum Götterboten werden. Auf der Wandlungsstufe der Rubedo wird der Merkur im Herzzentrum angesiedelt, das als viertes Chakra die Mitte aller feinstofflichen Zentren bildet.

Soweit dieses Portrait des Merkurs

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